Narratives Interview

Von Fritz Schütze eingeführtes und begründetes Verfahren der Datenerhebung, in welchem die oder der Interviewpartner/in gebeten wird, einen bestimmten Ausschnitt aus ihrem/seinem Leben oder auch das Leben in seiner Gesamtheit (in diesem Fall spricht man von narrativ-biographischem Interview) möglichst spontan, also zunächst ohne Rückfragen seitens der interviewenden Persen, und umfassend zu erzählen. Ausgangspunkt ist daher ein entsprechender erzählungsgenerierender Stimulus, der eine Stegreiferzählung der oder des Interviewten hervorruft; es soll jedenfalls im Rahmen dieser ersten Erzählung eher vermieden werden, dass die/der Interviewte das Erzählte z. B. begründet, aus einer »theoretischen« Perspektive kommentiert oder umfassend bewertet.

Im einzelnen verläuft das N. I. im Regelfall folgendermaßen:

  1. Am Anfang steht die Erzählaufforderung, welche die oder den Interviewte/n zur
  2. Haupterzählung veranlasst. Während dieser Haupterzählung soll die/der Interviewte durch keinerlei (Nach-)Fragen unterbrochen oder gelenkt werden, die Erzählung wird vielmehr (nach Schütze) durch drei Erzählzwänge gesteuert:
    • den Gestaltschließungszwang (nicht: Gestalterschließungszwang, wie bei Flick [1995, S. 118] zu lesen, im übrigen auch bei Diekmann [1995, S. 449] – seltsam, die Bücher erschienen genau zur gleichen Zeit), den Zwang, angefangene Themen oder Erzählstränge auch in irgendeiner Art und Weise abzuschließen;
    • den Kondensierungszwang, den Zwang, die Erzählung soweit zu »verdichten«, dass sie angesichts begrenzter Zeit für die/den Zuhörer/in nachvollziehbar bleibt. Diesem Zwang steht entgegen der
    • Detaillierungszwang, der Zwang, Hintergrund- oder Zusatzinformationen einzubringen, die für das Verständnis der Erzählung erforderlich sind.
    Zusammengenommen sollen diese Zwänge dafür sorgen, dass einerseits die wichtigsten Ereignisse berichtet werden, andererseits das Interview für die Beteiligten – Interviewte wie Interviewer/in – handhabbar bleibt.
    Die Haupterzählung wird meist abgeschlossen durch eine Erzählkoda, also eine Äußerung, die das Ende der Erzählung signalisiert, wie z. B. »Ja, das wär's eigentlich«.
  3. Hierauf folgt i. a. eine Nachfragephase durch den/die Interviewer/in. Mit Schütze lassen sich zwei Formen von Nachfragen unterscheiden: Immanente Nachfragen, also solche, die sich direkt auf das vorher Erzählte beziehen (z. B. auf Unklarheiten, auf Dinge, die nur angedeutet, aber nicht ausgeführt wurden, etc.), und exmanente Nachfragen, die sich auf Sachverhalte oder Probleme beziehen, die vom Befragten überhaupt nicht angesprochen wurden, die aber dem/der Interviewer/in aus bestimmten Gründen (z. B. wegen Fragestellungen, die im Forschungsprojekt geklärt werden sollen) wichtig erscheinen. Auch in dieser Nachfragephase soll die/der Befragte möglichst zu Erzählungen animiert werden.
  4. Am Ende steht die Bilanzierungsphase, in der das bisher Erzählte abschließend zusammengefasst und bewertet wird. An dieser Stelle kann gegebenenfalls der/die Interviewpartner/in das Geschehene bewerten oder aus seiner Sicht erklären.

Zitierte Literatur:

  • Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Reinbek bei Hamburg: rowohlt, 1995
  • Flick, Uwe: Qualitative Forschung, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1995

Weitere (einführende) Literatur:

  • Küsters, Ivonne: Narrative Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialforschung, 2006
  • Hermanns, H.: Narratives Interview, in: Flick, U./Kardorff, E. v./Rosenstiel, L. v./Wolff, S. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung. München: PVU, 1991, S. 182-185 (oder neuere Auflage)
  • Schütze, F.: Biographieforschung und narratives Interview, in: Neue Praxis 13, 1983, S. 283-293

© W. Ludwig-Mayerhofer, ILMES | Last update: 10 Jan 2009