Befragung (engl. je nach Kontext: Interview[ing], Survey)
Befragungen zählen zu den wichtigsten sozialwissenschaftlichen Methoden der Datenerhebung. Sie können im direkten Kontakt zwischen ForscherIn bzw. InterviewerIn und befragter Person, oder medial vermittelt (telephonisch, schriftlich, online) durchgeführt werden. Wie bei anderen Methoden der Sozialwissenschaften gibt es je nach Forschungsfragestellungen und -interessen auch bei Befragungen unterschiedliche Grade der Vorstrukturierung bzw. Standardisierung. Der Begriff Befragung bezieht sich in der Regel auf Interviews mit einzelnen Personen. Bei Gruppendiskussionen werden ebenfalls verbale Daten von den Untersuchungspersonen erhoben, doch wird der Begriff Befragung hier in der Regel nicht verwendet, wohl auch, um die noch stärkere Eigendynamik des Gruppengeschehens gegenüber dem themengebenden Impuls zu betonen.
Völlig oder jedenfalls weitestgehend standardisierte Befragungen kommen vor allem bei Surveys, also repräsentativ angelegten Untersuchungen mit einem vergleichsweise großen Sample zum Einsatz. Fragen und Antwortmöglichkeiten (Vorgabe von Antwortkategorien) sind fertig formuliert und auf einem Fragebogen festgehalten, der bei mündlichen Befragungen auch genaue Anweisungen für die Interviewer*innen enthält. Teilstandardisierte Befragungen kombinieren feste Frage-Antwort-Formate mit offeneren Antwortmöglichkeiten. Bei den mündlichen oder telefonischen Befragungen kommen zunehmend auch Computertechnologien zur Anwendung, die die Befragung steuern (z.B. bei Filterfragen) und außerdem eine unmittelbare Eingabe der Antworten erlauben (CAPI, CATI); bei der Online-Befragung wird die Dateneingabe durch die Befragungsperson selbst vorgenommen.
Andere, weitgehend offene Arten der Befragung kommen bei Experteninterviews oder Verfahren der qualitativen Sozialforschung zum Einsatz. Hier strukturieren Frageleitfäden den Ablauf der Befragung nur im Hinblick auf die interessierenden Aspekte vor. Sie lassen auch die Möglichkeit zu, im Verlauf der Befragung neue Frage aufzuwerfen bzw. Nachfragen zu stellen, wenn deutlich wird, daß wichtige Bereiche oder Informationen im Leitfaden nicht vorgesehen waren. Als kaum vorstrukturierte Befragungsform kann schließlich das narrative Interview gelten. Hier gibt der Interviewer eine Ausgangsfrage vor und nimmt dann die Rolle eines aufmerksamen Zuhörers ein, der nur dann wieder in das Erzählen der Befragten eingreift, wenn dieses allzu sehr abschweift oder zum Stocken kommt.
Vertreter der qualitativen Forschung lehnen häufig den Begriff der »Befragung« ab, weil er ein einseitiges Verhältnis zwischen fragender und Auskunft gebender Person impliziert, und sprechen lieber von Interview(ing).
Zur Auswertung: Während standardisierte und teilstandardisierte Befragungen schriftlich (auf Fragebögen) festgehalten und quantifizierend computergestützt ausgewertet werden, bietet es sich bei leitfadengestützten oder offen-narrativen Interviews an, diese auf Tonband, u.U. auch auf Video aufzuzeichnen und dann für die Analyse zu transkribieren, da Gedächtnisprotokolle bzw. protokollierendes Mitschreiben immer Informationsverluste bedeuten. Zum Einsatz kommen dann computergestützte inhaltsanalytische, sequenzanalytische oder andere hermeneutisch-rekonstruktive, d.h. sinnauslegende Auswertungsverfahren.
Literatur:
- Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, 2 Bde., München/Weinheim: PVU, 1988, 2. Aufl. 1993, 3. Aufl. 1995
- Schnell, Rainer/Hill, Paul/Esser, Elke: Methoden der empirischen Sozialforschung. München, Wien: Oldenbourg, 5. Aufl. 1995, Abschnitt "Befragung"
© R. Keller, W. Ludwig-Mayerhofer, ILMES | Last update: 01 Dec 2020