Ethnographie (engl.: Ethnography, Ethnographic Research)

Ethnographie bezeichnet einen vor allem innerhalb der Ethnologie, aber auch in der Soziologie existierenden Forschungsansatz, der unter Rückgriff insbesondere auf die Methode der teilnehmenden Beobachtung und der Befragung darauf zielt, die materiellen und symbolisch-semantischen Weltbezüge fremder Kulturen bzw. gesellschaftlicher Teilkulturen zu rekonstruieren. Ihre Ursprünge hat die Ethnographie in der ethnologischen und kulturanthropologischen Erforschung kleinerer Stammeskulturen. Das Vorgehen hat der Ethnologe Clifford Geertz einmal so beschrieben: »Wir reden mit dem Bauern auf dem Reisfeld oder mit der Frau auf dem Markt, weitgehend ohne strukturierten Fragenkatalog und nach einer Methode, bei der eins zum anderen und alles zu allem führt; wir tun dies in der Sprache der Einheimischen, über eine längere Zeitspanne hinweg, und beobachten dabei fortwährend aus nächster Nähe ihr Verhalten« (Geertz 1985: 38). Schon in der Ethnologie richtet sich das Forschungsinteresse nicht nur auf exotische, mehr oder weniger fremde Stämme. Als Völkerkunde oder europäische Ethnologie untersucht sie vielmehr auch Teilkulturen innerhalb der modernen Gesellschaft selbst: Dörfer, Grenzregionen, Betriebe usw. Innerhalb der Soziologie können ethnographische Traditionen bis in die Arbeiten der sog. Chicago School zurückverfolgt werden. Gegenwärtig finden sich ethnographische Ansätze in der Soziologie als »lebensweltliche Ethnographie« (Honer 1993) gesellschaftlicher Teilkulturen, z.B. besonderer Milieus oder Gruppen (etwa Punks, Skinheads, Adel), sozialer Praktiken (z.B. Kaffeefahrten, Sado-Masochismus, Heimwerken) oder Organisationen (bspw. Betriebskulturen).

Knoblauch (2001) hat mit dem Begriff »fokussierte E.« darauf hingewiesen, dass die gegenwärtige Forschung (nicht zuletzt im deutschen Sprachraum) sich häufig auf Ausschnitte einer spezifischen (Sub-)Kultur bezieht, also nicht zwingend den Anspruch einer holistischen Analyse abgeschlossener kultureller Welten verfolgen muss.

In den USA wurden außerdem Ideen einer kritischen E. entwickelt, welche den tendenziell statischen und damit manchmal auch 'konservativen' Charakter der etablierten E. überwinden und Fragen von Politik und Macht explizit in die ethnographische Analyse einbauen will (Thomas 1993).

Im angelsächsischen Sprachraum wird der Begriff E. (in seinen englischen Äquivalenten natürlich) manchmal auch gleichbedeutend mit »qualitativer Forschung« verwendet.

Zitierte Literatur:

  • Geertz, C.: Vom Hereinstolpern. In: Freibeuter Nr. 25, 1985, S.37-41
  • Honer, A.: Lebensweltliche Ethnographie. Wiesbaden: DUV, 1993
  • Knoblauch, Hubert: Fokussierte Ethnographie: Soziologie, Ethnologie und die neue Welle der Ethnographie, in: Sozialer Sinn 2, 2001, S. 123-114.
  • Thomas, J.: Doing Critical Ethnography. Newbury Park: Sage (Sage Qualitative Research Methods, Vol. 26), 1993

Anwendungsbeispiele:

  • Barley, N.: Traumatische Tropen. Notizen aus meiner Lehmhütte. München: dtv, 1997
  • Favret-Saada, J.: Die Wörter, der Zauber, der Tod. Der Hexenglaube im Hainland von Westfrankreich. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981
  • Wittel, A.: Belegschaftskultur im Schatten der Firmenideologie: eine ethnographische Fallstudie. Berlin: Sigma, 1996

© R. Keller & W. Ludwig-Mayerhofer, ILMES | Last update: 30 Dec 1999