Qualitative Sozialforschung (engl.: Qualitative [Social] Research)

Qualitative Forschung versteht sich als Alternative und/oder Ergänzung der etablierten »quantitativen«, standardisierten und zumeist auf Verfahren der Statistik zurückgreifenden Sozialforschung, wie sie in den gängigen Lehrbüchern dargestellt wird. Wesentliche Kennzeichen qualitativer Forschung sind m. E. (vgl. auch Hollstein/Ullrich 2003):

Offenheit: Dieses Prinzip besagt, dass im allgemeinen der »Zugang« zum Thema, zum Feld, zu den Untersuchungspersonen und auch zu den Daten möglichst wenig Vorentscheidungen enthalten sollte. Im Gegensatz zur standardisierten Forschung werden nicht bestimmte zu prüfende Hypothesen vorab festgelegt, der Feldzugang und die Auswahl der Untersuchungspersonen werden flexibel gehandhabt und können im Verlauf des Forschungsprozesses neuen Erfordernissen und Fragestellungen angepasst werden, bei der Datenerhebung soll darauf geachtet werden, dass die Erzeugung der Daten möglichst wenig durch die Forscher beeinlusst wird, und auch bei der Datenauswertung sollen möglichst lange möglichst viele Hypothesen offengehalten und geprüft werden.

Orientierung an Verstehen: Qualitative Forschung ist meistens, wenn auch (so m.E. Kleining 1994 zu Recht) nicht immer, an der sozialen Welt als einer sinnhaft konstituierten Welt orientiert. Dieser Sinn – der nicht unbedingt den Subjekten bewusster (intendierter) Sinn sein muss – ist durch Verfahren der Hermeneutik zu erschließen.

Die inzwischen relativ zahlreichen Verfahren und Sub-Paradigmen der qualitativen Sozialforschung lassen sich im übrigen nicht leicht auf einen Nenner bringen: Der Ansatz der Grounded Theory ist z. B. ursprünglich vor allem auf der Ebene der Forschungslogik konzipiert worden, das narrative Interview vor allem als Verfahren der Datenerhebung, die Objektive Hermeneutik wiederum versteht sich vor allem als Verfahren der Datenauswertung. Es lassen sich auch eindeutig länderspezifische Schwerpunkte ausmachen; während die qualitative Forschung in den USA sich nach wie vor stark an die Devise »Go to the People« hält und Verfahren der teilnehmenden Beobachtung und der Ethnographie favorisiert (die »naturalistische« Forschung mit ihrer starken Betonung des »Being There« ist immer noch der typische, wenngleich gewiss nicht einzige Vertreter, vgl. Gubrium/Holstein 1997), ist sie in Deutschland – von einigen Ausnahmen abgesehen – im wesentlichen »Armchair-Soziologie« geblieben, die sich mehr Gedanken um die Interpretation von Daten als um die Erschließung komplexer Lebenswelten macht.

Zitierte Literatur:

  • Gubrium J. F./Holstein, J.A.: The New Language of Qualitative Method, London: Sage, 1997
  • Hollstein, Betina/Ullrich, Carsten G.: Einheit trotz Vielfalt? Zum konstitutiven Kern qualitativer Forschung. In: Soziologie. Forum der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 32, 2003, S. 29-43
  • Kleining, G.: Qualitativ-heuristische Sozialforschung, Hamburg: Fechner, 1994

Weitere Literatur:

  • Hopf, Christel/Weingarten, Elmar (Hrsg.): Qualitative Sozialforschung. Stuttgart: Klett-Cotta, 1979
  • Flick, Uwe: Qualitative Forschung, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1995 (seither mehrere weitere Auflagen)
  • Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung, 2 Bde., München/Weinheim: PVU, 1988 (und mehrere weitere Auflagen)
  • Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika: Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. München: Oldenbourg, 2008 (und mehrere weitere Auflagen)

© W. Ludwig-Mayerhofer, ILMES | Last update: 12 Jan 2009