Experteninterview

Ein Interview mit einer Person, die mit Hinblick auf ihren Status als Experte oder Expertin befragt wird, also als Person, die über spezialisiertes Wissen und dadurch im allgemeinen auch über (meist: institutionell geregelte) Entscheidungskompetenzen verfügt.

Nach einem Vorschlag von Meuser & Nagel (1991) kann man in E.s im wesentlichen zwei Haltungen einnehmen: Entweder befragt man den Experten bzw. die Expertin, um etwas über ein Untersuchungsfeld zu erfahren, zu dem der Experte Kontextwissen liefern kann (in einem Beispiel der Autoren: einen Lehrer, um etwas über Schüler mit Lernschwierigkeiten herauszufinden). Wichtiger noch dürfte das E. sein, wenn es mit dem Ziel eingesetzt wird, das Wissens- und Organisationsgefüge der Institution (i.w.S.) zu untersuchen, in die der Experte/die Expertin eingebunden ist, oder in der Begrifflichkeit von Meuser & Nagel: wenn das »Betriebswissen« der Experten erhoben werden soll.

Für eine detaillierte Untersuchung dieses Betriebswissens empfehlen sich zumeist qualitative Erhebungsverfahren, i.d.R. anhand eines Leitfadens (was nicht ausschließt, dass für bestimmte Zwecke auch standardisierte Verfahren eingesetzt werden). Die Auswertung dieser qualitativen Interviews wird nach Meuser und Nagel im allgemeinen nicht mit feinanalytischen sequenziellen Verfahren erfolgen, da im Zentrum nicht die Expertin oder der Experte als »Fall« steht, sondern eher das (nicht notwendig diskursiv verfügbare) Wissen, welches ExpertInnen im Kontext der Institution einsetzen. Statt dessen wird zu eher inhaltsanalytisch orientierten und dann zu konzeptueller und theoretischer Verdichtung voranschreitenden Auswertungsverfahren geraten. Dieser Auffassung kann man allerdings entgegenhalten, dass gerade das wirkungsmächtige Expertenwissen – wie die meisten anderen Wissensformen auch – in Form von zum Teil handlungspraktisch erworbenen und nicht immer reflexiv verfügbaren Deutungsmustern vorliegt, so dass man sich bei der Auswertung auch interpretativer bzw. rekonstruktiver Verfahren (etwa der dokumentarischen Methode oder der objektiven Hermeneutik) bedienen muss.

Literatur:

  • Meuser, M./Nagel, U.: ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht, in: Garz, D./Kraimer, K. (Hrsg.): Qualitativ-empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1991, S. 441-471
  • Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (Hrsg.) (2002): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendungen. Opladen: Leske + Budrich

© W. Ludwig-Mayerhofer, ILMES | Last update: 09 Jun 2011